In Augsburg fand erstmals eine ökumenische Vesperkirche statt

Projekt von großer Strahlkraft

AUGSBURG – Mit einem „Herzlich willkommen“ wurden Besucher schon am Eingang der evangelischen Kirche St. Paul in Augsburg-Pfersee begrüßt. Es war Sonntagvormittag, kurz vor 11 Uhr, als sich aus allen Himmelsrichtungen Jung und Alt, zu Fuß, auf Fahrrädern und mit der Straßenbahn zur „Vesperkirche“ aufmachten. Mit dieser haben die evangelische und die katholische Kirche ein Projekt verwirklicht, das es so noch nie in Bayern gegeben hat. 

Die „Vesperkirche“ war 15 Tage lang ein Wohlfühlort unter dem Motto „Alle an einen Tisch“. Kirchenbänke wurden entfernt, an ihrer Stelle rund 30 Tischgarnituren und eine „Essens-Insel“ aufgebaut. Täglich wurden mittags 400 schmackhafte Essen, etwa gefüllte Paprikaschoten mit Reis, Schweinebraten mit Knödel oder Geschnetzeltes von der Pute mit Konfettisalat, für den symbolischen Preis von einem Euro ausgeteilt.

Ob Klein oder Groß, Alt oder Jung, Arm oder Reich – alle waren bei der „Vesperkirche“ willkommen. Man fühlte sich an das Evangelium von der Speisung der 5000 erinnert – im Kleinen. In dem Zeitraum von 15 Tagen gab es zusätzliche Angebote wie einen Haarschnitt, einen Secondhand-Verkauf oder eine soziale Beratung. Geboten waren auch kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen, Vorträge oder Ausstellungen. Natürlich wurden auch ökumenische Gottesdienste gefeiert. 

Bischof Bertram Meier verwies im Jubiläumsjahr zu Ehren des heiligen Ulrich auf viele Beispiele der Gastfreundschaft, die in dessen Vita aufgeschrieben sind. Der Bistumspatron habe seine Herzlichkeit allen Menschen unterschiedslos zuteilwerden lassen. Bischof Bertram dankte den Ehrenamtlichen, die sich von katholischer wie evangelischer Seite beim Projekt engagierten. „Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie bei Ihrem Einsatz das kleine, aber so wirkungsvolle Alltagswunder erleben, dass gewährte Hilfe beide Seiten beschenkt: denjenigen, dem geholfen wird, ebenso wie den, der hilft.“

So ist auch die Freude groß bei Pfarrerin Marianne Werr von St. Paul über die 160 freiwilligen Helfer, die sich in zwei Wochen „Vesperkirche“ um die Menschen bemühten, die sich an einen Tisch setzten, um Essen zu teilen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Mit von der Partie waren auch Schulklassen und die Jugendmannschaft des FC Augsburg. Der älteste Helfer zählte 88 Jahre. Lisbeth, die mit Eifer das benützte Geschirr abräumte oder Servietten an die Tische brachte, zählte zu den jüngsten Ehrenamtlichen. 

Das Fazit nach der ersten Woche: Fast 3000 Menschen seien gekommen, sagte die Pfarrerin beim Sonntagsgottesdienst. Viele Gäste boten spontan ihre Hilfe an. Arbeitskollegen gingen mittags statt in die Kantine in die „Vesperkirche“, junge Eltern trafen sich mit ihren Kindern nach der Schule und ältere Menschen entflohen ihrer Einsamkeit und kamen ins Gotteshaus. 

„Wie im Urlaub“

„Es war so schön, ich fühlte mich wie im Urlaub“, schwärmte eine ältere Dame. „Noch dazu wurde täglich unterschiedliche, aber immer schöne Musik gespielt.“ So sangen oder spielten entweder Solisten oder Gruppen, und auch Musiker aus dem Orchester des Staatstheaters trugen zum Gelingen des Projekts bei.

Für Pfarrerin Marianne Werr wird das Konzept „Vesperkirche“ getragen von christlichen Werten wie Nächstenliebe, Miteinander und Inklusion. In diesem Sinne sei die „Vesperkirche“ ein soziales Projekt, das den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft stärke. Das unterstrich auch die Schirmherrin, Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber.

Ingrid Paulus

23.03.2024 - Bistum Augsburg